Aktuelles
Einwurf-Einschreiben, Zugang, fehlender Auslieferungsbeleg, Anscheinsbeweis
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seinem Urteil vom 30.01.2025 – 2 AZR 68/24 entschieden, dass der üblicherweise gewählte Weg zur Dokumentation einer Zustellung per Einwurf-Einschreiben, der darin bestand, dass man sich den Einlieferungsbeleg der Post aufhebt und später den Sendungsstatus abruft und ausdruckt, nicht den wirksamen Nachweis des Zugangs der Kündigung erbringen kann.
Diese Frage war in der Vergangenheit unter den Arbeitsrechtlern umstritten.
Der Vorgang wurde, wie das Bundesarbeitsgericht nun entschieden hat, zutreffend als risikobehaftet angesehen.
In Konsequenz der Entscheidung des BAG sollte keine Kündigung mehr auf dem Postweg erfolgen, was gleichermaßen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gilt.
In der Praxis wird man deshalb den sicheren Weg, nämlich die Übergabe der Kündigung in Gegenwart von Zeugen, alternativ eine Zustellung durch einen Boten, wählen müssen.
Dieser Bote muss Kenntnis von dem Haben, was er überbringt, also den Inhalt (Kündigungsschreiben) kennen und dies notfalls als Zeuge vor Gericht bekunden können.
Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
In seiner Entscheidung vom 21.08.2024 – 5 AZR 248/23 hat das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung zur Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung arbeitgeberfreundlich erweitert.
Auffallend und ungewöhnlich ist es nach Auffassung des BAG und damit im Regelfall auch geeignet, den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, wenn zwischen der in Kenntnis einer Kündigung bescheinigten Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist eine zeitliche Koinzidenz (zeitlicher Zusammenhang) besteht.
Maßgeblich ist, dass der Arbeitnehmer zu einem Zeitpunkt, zu dem feststeht, dass das Arbeitsverhältnis enden soll, arbeitsunfähig wird und bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bleibt.
Ob eine oder mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen den Zeitraum der Kündigungsfrist abdecken, ist dabei nicht entscheidend.
Zu beachten ist allerdings trotz der arbeitgeberfreundlichen Tendenz, dass der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht allein deshalb erschüttert ist, weil diese einen Zeitraum innerhalb der Kündigungsfrist, insbesondere gegen Ende der Kündigungsfrist, betrifft.
Krankheiten können auch in einem gekündigten oder einem aus anderen Gründen endenden Arbeitsverhältnis auftreten. In der Ablösephase mag zwar die Motivation eines Arbeitnehmers nachlassen. Daraus ist aber keinesfalls zu schließen, dass jede Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in diesem Zeitraum Makel behaftet ist (vgl. LAG Köln vom 10.08.2023 – 6 Sa 682/22).
Regelmäßig wird das Arbeitsgericht bei Erschütterung des Beweiswerts den behandelnden Arzt zur Arbeitsunfähigkeit vernehmen. Von der Beweisaufnahme wird es abhängen, ob sich die Erschütterung des Beweiswerts im Ergebnis auch bewahrheitet.
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Einheit des Verhinderungsfalls (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 13. 06.2023 – 2 Sa 20 / 23)
Viele Arbeitgeber leisten bei Vorlage einer neuen Erstbescheinigung nach/bei einer fortdauernden Erkrankung, erneut Entgeltfortzahlung, statt zu prüfen, ob ein Anwendungsfall der „Einheit des Verhinderungsfalls“ vorliegt.
Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat auf der Linie des Bundesarbeitsgerichts folgende Klarstellungen getroffen:
- Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so ist der Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG auf die Dauer von 6 Wochen begrenzt. Dies gilt nach dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls auch dann, wenn während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat.
- Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch besteht nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits in dem Zeitpunkt beendet war, indem die weitere Erkrankung zu einer erneuten Arbeitsverhinderung führt. Das ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer zwischen zwei Krankheiten tatsächlich gearbeitet hat oder jedenfalls arbeitsfähig war, sei es auch nur für wenige außerhalb der Arbeitszeit liegende Stunden.
- Der Arbeitnehmer ist darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass seine bisherige Erkrankung bei Eintritt der mit neuer Erstbescheinigung attestierten Arbeitsverhinderung keine Arbeitsunfähigkeit mehr ausgelöst hat. Das gilt auch dann, wenn sich an dem ausgeschöpften 6-Wochen Zeitraum des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG ein Krankengeldbezug angeschlossen hat und der Arbeitnehmer in der Folge vom Arbeitgeber unter Vorlage einer neuen Erstbescheinigung Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall wegen einer sich unmittelbar an den Krankengeldbezug anschließenden Arbeitsverhinderung verlangt.
Bei Beleidigungen und Hetze im WhatsApp-Chat droht fristlose Kündigung (BAG vom 24.08.2023, 2 AZR 17/23)
In einem aktuellen Urteil vom 24.08.2023 hat sich das Bundesarbeitsgericht (Az. 2 AZR 17/ 23) mit der Frage auseinandergesetzt, wie vertraulich die Kommunikation in privaten WhatsApp Gruppen ist.
Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass der Schutz der vertraulichen Kommunikation nicht in jedem Fall gilt. Wer sich in solchen Gruppen beleidigend, rassistisch oder sexistisch über Arbeitskollegen oder Vorgesetzten äußert kann fristlos gekündigt werden.
Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Das Bundesarbeitsgericht kommt zum Ergebnis, dass nur ausnahmsweise, wenn der Arbeitnehmer sicher davon ausgehen kann, dass ein Chat-Verlauf vertraulich bleibt, eine Kündigung nicht gerechtfertigt ist.
Im Zweifelsfall müssen die Mitglieder der Chat-Gruppe nachweisen, weshalb sie einander vertrauen durften. Eine „berechtigte Vertraulichkeitserwartung“ also Verschwiegenheit ist nicht ohne weiteres zu erwarten.
Nur dann, wenn ein Mitglied der Gruppe nachweisen kann, dass angesichts des Chat-Verlaufs, der Größe der Gruppe nicht mit einer Weitergabe der Äußerungen an Dritte gerechnet werden darf, kann eine Vertraulichkeitserwartung bestehen. Insbesondere wenn die Gruppe größer wird und neue Gruppenmitglieder hinzu kommen muss damit gerechnet werden, dass eine Vertraulichkeitserwartung nicht mehr gegeben ist.
Gleiche Arbeit, gleicher Lohn für Mann und Frau
In einer aktuellen Entscheidung vom 16.02.2023, 8 AZR 450/21), kam das BAG zum Ergebnis, dass eine Frau Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit hat, wenn der Arbeitgeber männlichen Kollegen aufgrund des Geschlechts ein höheres Entgelt zahlt.
Daran ändert nichts, wenn der männliche Kollege bei der Einstellung oder später ein höheres Entgelt fordert und der Arbeitgeber dieser Forderung nachgibt.
Es kommt also nicht darauf an, ob/dass der männliche Kollege wegen der Vergütungsansprüche besser verhandelt hat, als die weibliche Arbeitskollegin.
Der Umstand, dass die Arbeitnehmerin für die gleiche Arbeit ein niedrigeres Grundentgelt erhalten hat als ihr männlicher Kollege begründet die Vermutung nach § 22 AGG, nämlich dass die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt ist.
Das Bundesarbeitsgericht sprach der Arbeitnehmerin auf deren Antrag hin eine Entschädigung wegen einer Benachteiligung aufgrund des Geschlechts zu.
Arbeitszeiterfassung
In seinem Beschluss vom 13.09.2022 (1 ABR 22/21) hat das Bundesarbeitsgericht festgestellt, dass eine Verpflichtung der Arbeitgeber zur Einführung von Systemen besteht, mit denen eine objektive, verlässliche und zugängliche Messung der von Arbeitnehmern tatsächlich erbrachten Arbeitszeiten möglich ist.
Das Bundesarbeitsgericht leitet diese Verpflichtung aus allgemeinen arbeitsschutzrechtlichen Grundpflichten her, die den Arbeitgebern insbesondere nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG zufallen.
Im Ergebnis sieht das Bundesarbeitsgericht eine aus dem Arbeitsschutzgesetz folgende Verpflichtung des Arbeitgebers, ein objektiv verlässliches und zugängliches System für die Erfassung sämtlicher Arbeitszeiten einzuführen.
Dabei sind die Besonderheiten der jeweils betroffenen Tätigkeitsbereiche der Arbeitnehmer zu berücksichtigen.
Die Arbeitszeiterfassung muss nicht zwingend elektronisch erfolgen.
Denkbar dürfte auch eine Erfassung der Arbeitszeiten in Papierform sein.
Nach Ansicht des BAG scheint es auch möglich zu sein, die Aufzeichnung der betreffenden Arbeitszeiten an die Arbeitnehmer zu delegieren.
Das bedeutet in der Konsequenz nicht, dass flexible Konzepte wie Vertrauensarbeitszeit nicht mehr möglich sind.
Es müssen aber Wege gefunden werden, die hierbei erbrachten Arbeitszeiten objektiv und verlässlich, also ehrlich, zu erfassen.