Aktuelles2019-04-04T11:01:59+02:00

Aktuelles

Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Einheit des Verhinderungsfalls (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 13. 06.2023 – 2 Sa 20 / 23)

Viele Arbeitgeber leisten bei Vorlage einer neuen Erstbescheinigung nach/bei einer fortdauernden Erkrankung, erneut Entgeltfortzahlung, statt zu prüfen, ob ein Anwendungsfall der „Einheit des Verhinderungsfalls“ vorliegt.

Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat auf der Linie des Bundesarbeitsgerichts folgende Klarstellungen getroffen:

  1. Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so ist der Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG auf die Dauer von 6 Wochen begrenzt. Dies gilt nach dem Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls auch dann, wenn während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat.
  2. Ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch besteht nur, wenn die erste krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits in dem Zeitpunkt beendet war, indem die weitere Erkrankung zu einer erneuten Arbeitsverhinderung führt. Das ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer zwischen zwei Krankheiten tatsächlich gearbeitet hat oder jedenfalls arbeitsfähig war, sei es auch nur für wenige außerhalb der Arbeitszeit liegende Stunden.
  3. Der Arbeitnehmer ist darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass seine bisherige Erkrankung bei Eintritt der mit neuer Erstbescheinigung attestierten Arbeitsverhinderung keine Arbeitsunfähigkeit mehr ausgelöst hat. Das gilt auch dann, wenn sich an dem ausgeschöpften 6-Wochen Zeitraum des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG ein Krankengeldbezug angeschlossen hat und der Arbeitnehmer in der Folge vom Arbeitgeber unter Vorlage einer neuen Erstbescheinigung Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall wegen einer sich unmittelbar an den Krankengeldbezug anschließenden Arbeitsverhinderung verlangt.

 

Arbeitsrecht|

Bei Beleidigungen und Hetze im WhatsApp-Chat droht fristlose Kündigung (BAG vom 24.08.2023, 2 AZR 17/23)

In einem aktuellen Urteil vom 24.08.2023 hat sich das Bundesarbeitsgericht (Az. 2 AZR 17/ 23) mit der Frage auseinandergesetzt, wie vertraulich die Kommunikation in privaten WhatsApp Gruppen ist.

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass der Schutz der vertraulichen Kommunikation nicht in jedem Fall gilt. Wer sich in solchen Gruppen beleidigend, rassistisch oder sexistisch über Arbeitskollegen oder Vorgesetzten äußert kann fristlos gekündigt werden.

Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Das Bundesarbeitsgericht kommt zum Ergebnis, dass nur ausnahmsweise, wenn der Arbeitnehmer sicher davon ausgehen kann, dass ein Chat-Verlauf vertraulich bleibt, eine Kündigung nicht gerechtfertigt ist.

Im Zweifelsfall müssen die Mitglieder der Chat-Gruppe nachweisen, weshalb sie einander vertrauen durften. Eine „berechtigte Vertraulichkeitserwartung“ also Verschwiegenheit ist nicht ohne weiteres zu erwarten.

Nur dann, wenn ein Mitglied der Gruppe nachweisen kann, dass angesichts des Chat-Verlaufs, der Größe der Gruppe nicht mit einer Weitergabe der Äußerungen an Dritte gerechnet werden darf, kann eine Vertraulichkeitserwartung bestehen. Insbesondere wenn die Gruppe größer wird und neue Gruppenmitglieder hinzu kommen muss damit gerechnet werden, dass eine Vertraulichkeitserwartung nicht mehr gegeben ist.

Arbeitsrecht|

Gleiche Arbeit, gleicher Lohn für Mann und Frau

In einer aktuellen Entscheidung vom 16.02.2023, 8 AZR 450/21), kam das BAG zum Ergebnis, dass eine Frau Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit hat, wenn der Arbeitgeber männlichen Kollegen aufgrund des Geschlechts ein höheres Entgelt zahlt.

Daran ändert nichts, wenn der männliche Kollege bei der Einstellung oder später ein höheres Entgelt fordert und der Arbeitgeber dieser Forderung nachgibt.

Es kommt also nicht darauf an, ob/dass der männliche Kollege wegen der Vergütungsansprüche besser verhandelt hat, als die weibliche Arbeitskollegin.

Der Umstand, dass die Arbeitnehmerin für die gleiche Arbeit ein niedrigeres Grundentgelt erhalten hat als ihr männlicher Kollege begründet die Vermutung nach § 22 AGG, nämlich dass die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt ist.

Das Bundesarbeitsgericht sprach der Arbeitnehmerin auf deren Antrag hin eine Entschädigung wegen einer Benachteiligung aufgrund des Geschlechts zu.

Arbeitsrecht|

Arbeitszeiterfassung

In seinem Beschluss vom 13.09.2022 (1 ABR 22/21) hat das Bundesarbeitsgericht festgestellt, dass eine Verpflichtung der Arbeitgeber zur Einführung von Systemen besteht, mit denen eine objektive, verlässliche und zugängliche Messung der von Arbeitnehmern tatsächlich erbrachten Arbeitszeiten möglich ist.

Das Bundesarbeitsgericht leitet diese Verpflichtung aus allgemeinen arbeitsschutzrechtlichen Grundpflichten her, die den Arbeitgebern insbesondere nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG zufallen.

Im Ergebnis sieht das Bundesarbeitsgericht eine aus dem Arbeitsschutzgesetz folgende Verpflichtung des Arbeitgebers, ein objektiv verlässliches und zugängliches System für die Erfassung sämtlicher Arbeitszeiten einzuführen.

Dabei sind die Besonderheiten der jeweils betroffenen Tätigkeitsbereiche der Arbeitnehmer zu berücksichtigen.

Die Arbeitszeiterfassung muss nicht zwingend elektronisch erfolgen.

Denkbar dürfte auch eine Erfassung der Arbeitszeiten in Papierform sein.

Nach Ansicht des BAG scheint es auch möglich zu sein, die Aufzeichnung der betreffenden Arbeitszeiten an die Arbeitnehmer zu delegieren.

Das bedeutet in der Konsequenz nicht, dass flexible Konzepte wie Vertrauensarbeitszeit nicht mehr möglich sind.

Es müssen aber Wege gefunden werden, die hierbei erbrachten Arbeitszeiten objektiv und verlässlich, also ehrlich, zu erfassen.

 

Arbeitsrecht|

Verjährung von Urlaubsansprüchen/Verjährung von Urlaubsabgeltungsansprüchen

Das Bundesarbeitsgericht hat zur Verjährung von Urlaubsansprüchen und der Verjährung von Urlaubsabgeltungsansprüchen zwei wegweisende Entscheidungen getroffen.

Urlaubsanspruch

Am 20.12.2022 (9 AZR 266/20) hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass Urlaubsansprüche verjähren können. Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt jedoch erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch informiert und ihm im Hinblick auf Verfallfristen aufgefordert hat, den Urlaub tatsächlich zu nehmen.

Hat der Arbeitgeber diese Mitwirkungsobliegenheiten nicht entsprochen, kann der nicht erfüllte gesetzliche Urlaub aus möglicherweise mehreren Jahren im laufenden Arbeitsverhältnis weder nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen, noch nach § 195 BGB verjähren und ist bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten. Bei einem Verstoß gegen die Mitwirkungsobliegenheiten kann sich so über viele Jahre ein Urlaubsanspruch „anhäufen“.

Urlaubsabgeltungsanspruch

Der Urlaubsabgeltungsanspruch, der mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsteht, unterliegt allerdings seinerseits der Verjährung.

Dies hat der BGH in seinen Urteilen vom 31.01.2023 (9 AZR 456/20) entschieden Die dreijährige Verjährungsfrist für den Abgeltungsanspruch beginnt mit dem Ende des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es auf die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten ankommt.

Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist insoweit ein Einschnitt.

Die strukturell schwächere Stellung des Arbeitnehmers, aus welchem der Europäische Gerichtshof während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses die Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers bei der Inanspruchnahme von Urlaub ableitet, endet mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Arbeitsrecht|

Kein automatischer Verfall von Urlaubsansprüchen

Am 20.12.2022 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG Az: 9 AZR 266/20) entschieden, dass Urlaubsansprüche von Arbeitnehmern nicht automatisch nach drei Jahren verjähren. Die Arbeitgeber müssen eine aktive Rolle spielen und dürfen nicht zuschauen, wie die Ansprüche verjähren und sich dann auf die Verjährung zu berufen.

Vielmehr sind die Arbeitgeber gehalten, die Beschäftigten rechtzeitig aufzufordern, ihren Urlaub zu nehmen und sie vor einer drohenden Verjährung zu warnen.

Dieses Grundsatzurteil hat Auswirkungen auf viele Arbeitnehmer, die über offene Urlaubsansprüche streiten, die teilweise Jahre zurückliegen. Die Position der Arbeitnehmer wird dadurch erheblich gestärkt.

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass die Informationspflicht des Arbeitgebers auch für Arbeitnehmer gilt, die für lange Zeit arbeitsunfähig erkrankt sind.

Diesen drohte bisher auch für das Jahr ihrer Erkrankung der Verfall von Urlaub 15 Monate nach Ende des Kalenderjahres.

Dies gilt nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts nicht mehr.

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